Mit Ghost of Tsushima werden wir auf eine kleine Insel im feudalen Japan entführt. Was uns dort erwartet und ob die Vision von Sucker Punch Productions überzeugen kann, lest ihr in dieser Review.
Jin Sakai, ein Samurai, seit Kindestagen geprägt von Ehre und Stolz findet sich nach einer verhängnisvollen Schlacht als einsamer Ritter auf der Insel Tsushima wieder, die nach der Mongoleninvasion einer ausgedörrten Kriegslandschaft gleicht. Die Einwohner Tsushimas, einfache Bauernleute, werden ihren Dörfern, Häusern und ihrer Nahrung beraubt, überall herrscht Tod und Verzweiflung in Form der feindlichen Mongolen. Jin Sakai wird als einzig überlebender Samurai und somit als einziger Schimmer von Hoffnung am unbekannten Horizont praktisch in diese zerrissene Welt „wiedergeboren“ und trägt fortan die Bürde des Retters von Tsushima.
Mit ihm macht man sich als Spieler nun auf die Reise durch das gebeutelte Tsushima, um die Insel von den feindlichen Mongolen zu befreien und nebenbei der Gefangenschaft und des Leidens des Onkels von Jin, dem großen Lord Shimura, unter dem mächtigen mongolischen General Khotun Khan ein Ende zu setzen.
Malerische Einsamkeit
Die Welt Tsushimas ist so wie sich Jin Sakai oft fühlen muss: einsam. Einsam und weitläufig, so lässt sich die Map von Tsushima am besten beschreiben.
Reitet man mit seinem treuen Hengst, den man sich zu Beginn des Spiels mit eigenem Namen aussuchen durfte, durch die Graslandschaften, Wäldern, entlang von Stränden oder verlassenen Dörfern überkommt einen ein seltenes Gefühl von Solitude in einer Welt, die eine unglaubliche Ruhe ausstrahlt. Diese wirkt beinahe therapeutisch, beim Durchkreuzen von Tsushimas Welt kehrt Ruhe in einem selbst ein und anders als bekannt von Open World Spielen wie Far Cry oder Assassin’s Creed, wimmelt diese nicht an jeder Ecke von Gegnern.
Trotz des Krieges, der die Insel heimsucht, liegt diese friedlich vor einem und glänzt mit ihrer großen Anmut. Unterstützt wird die Schönheit dieser durch das komplette Fehlen einer Minimap und den typischen grell aufleuchtenden Wegmarken. In Tsushima wird man auf seiner Reise nur geleitet durch den Wind, der durch die Blätter der Bäume fegt und Blütenblätter und andere Partikel aufwirbelt. Setzt man auf der großen Map einen Wegpunkt, weist einen der Wind sanft dorthin, der nebenbei auch noch eine in der Geschichte symbolische Bedeutung besitzt. Auf diese Weise ist man nicht gebunden an festgelegte Pfade, die man zu beschreiten hat, sondern wird nur sachte in die richtige Richtung gewiesen. Das Spiel konditioniert einen so die Umwelt besser und genauer in sich aufzunehmen, zu erforschen mit allen Sinnen, die man in einem Spiel eben zur Verfügung hat. Durch Tsushima besinnt man sich wieder auf eine Sache, die auch ich oft vergesse, während dem Spielen eines großen Titels: einfach einmal innezuhalten und ohne Ziel durch die Gegend zu spazieren.
Zusätzlich zum Wind hat man oft auch andere kleine Wegbegleiter wie einen Fuchs oder einen Vogel, die einen zu den zahlreichen über die Map verstreuten Collectibles bringen.
Wie in jedem Open World Spiel gibt es auch in Tsushima zum Leid des einen und zur Freud des anderen einiges an unentdeckten, mit dem altbekannten „?“ auf der Map gekennzeichneten Orte, die die Collectibles beherbergen. Bei diesen handelt es sich aber nicht nur um bedeutungslose Sammelfiguren. Natürlich artet auch Tsushima nach einigen Stunden Spielzeit in ein Abarbeiten der Map aus, doch immerhin sind die Collectibles toll ausgestaltet, stimmig mit der Welt und bringen den ein oder anderen Bonus mit sich, den sich der Spieler zu Nutzen machen kann. So gibt es beispielsweise die Hot Springs, in denen man Vorkommnisse der Geschichte oder des Charakters Jin Sakai reflektieren kann, die einen Bonus für die Gesundheits-Bar des Charakters bringen, Tempel-Rätsel, die zu einer Kletterpartie einladen, sogenannte „Bamboo Strikes“ und und und. Es lassen sich sogar ganze Haikus verfassen, die dem Spieler neue Accessoires verleihen.
Wo an vielen Stellen der Welt die Ruhe und wohlige Einsamkeit sehr willkommen sind, ist diese an anderen Stellen sehr unpassend und strikt. Die Natur und Umwelt des Spiels ist recht unbesiedelt, wo es in einem Red Dead Redemption 2 an Leben nur so sprüht, trifft man in Ghost of Tsushima nur hin und wieder mal auf ein Reh, mit dem man zusätzlich nichts anfangen kann. Die NPCs in den Siedlungen verhalten sich zudem auch immer gleich, so als gäbe es nur eine Animation für den jeweiligen Typ.
Der Schwertschmied sitzt von Tag zu Tag an der gleichen Stelle und hämmert auf seinen Stahl ein, die weinende Frau an der Ecke steht immer an dem gleichen Ort und weint, unbedeutend der Tageszeit, ob es regnet oder schneit. So wunderschön die Welt auch ist, so einseitig ist sie auch, so sehr fehlt das Gefühl von Interaktion. Auch das spärlich vorhandene Kletterdesign ist sehr restriktiv. Jin kann nur an den Orten klettern, an denen die offensichtlichsten Felsvorsprünge vorhanden sind und sich auch nur an diesen wieder herunter bewegen, ansonsten bedeutet das in den meisten Fällen den sicheren Tod für ihn, was unendlich frustriert, da ein Gefühl der Eingeschränktheit aufkommt.
So wirkt die Welt von Tsushima eher wie ein atemberaubendes Gemälde das man durchstreift, als eine offen zugängliche Welt, in der gelebt wird und die belebt ist.
Who are you, Peasant
Wie bei den NPCs, verhält es sich auch mit dem Writing jener, denen man in Missionen mit Rat und Tat zur Seite steht und die einen im Kampf gegen die Mongolen unterstützen. Dort gibt es die starrsinnige alte Frau, die ihre ermordete Familie rächen will, den arroganten Bogen-Lehrer auf der Suche nach seiner Schülerin, die taffe Bogenschützin, die einen einst vor dem sicheren Tod auf dem Schlachtfeld gerettet hat, doch selten hat man das Gefühl, dass es sich bei den Nebencharakteren wirklich um mehrdimensionale Menschen handelt und nicht nur um Pixelwesen, die lediglich als Mittel zum Zweck vorhanden sind. Das bricht oftmals den Erzählfluss, die Immersion, man baut keine Verbindung zu den eigentlich nicht unwichtigen Charakteren auf, es wirkt platt und unsympathisch, was durch die eingestaubten Gesichtsanimationen und eintönig choreografierten Cutscenes nochmal zusätzlich in den Vordergrund rückt.
Wären die Charaktere hier mit mehr Herz und Feingefühl gestaltet worden, hätte man sogar noch das oft gleichbleibende Missions-Design verzeihen können. Leider sind vor allem die Hauptmissionen, aber auch etliche Nebenmissionen viel zu lang und zu ineinander verschachtelt und gleich aufgebaut, ohne an der Stelle viel zur Story beizutragen oder zu sagen zu haben. Der Großteil der Missionen beläuft sich auf Fetch-Quests, in denen man irgendein Gegenstand oder einen Menschen suchen muss und anschließend auf Gegnerhorden trifft. Das kommt sogar auch manchmal mehrmals in einer Mission vor, was ermüdet und gar lächerlich wirkt.
Jin Sakais langsam aufkommende Zweifel seines Seins, dem Infrage stellen von Ehre und Stolz und den Gewissensbissen die aus seinem Handeln resultieren, könnten im späteren Verlauf der Geschichte jedoch noch zu einem interessanten Motiv und zu einem emotionalen Finale führen.
An Schwertes Spitze
Die bereits angesprochenen Gegenerhorden zu bekämpfen ist aber ein großartig gelungener Grundstein Tsushimas. Das Kampfsystem rund um das Samurai-Schwert, Pfeil und Bogen, spezielleren Waffen wie Sticky- oder Smokebombs ist sehr vielseitig und flüssig. Was zu Beginn vielleicht noch etwas Übung erfordert, wie man gegenerische Schläge pariert, ausweicht oder dem perfekten Ausführen verschiedener Kombos um den Gegenüber niederzumetzeln, ist unglaublich befriedigend und erfüllend. Etwas gedämpft wird dieser Spaß lediglich durch die steife KI.
Wie selten in Videospielen habe ich mich beim Spielen manchmal regelrecht in die Kämpfe gestürzt, da der taktische Schwertkampf großen Spaß bereitete. Nach dem Befreien eines Dorfes oder einer Festung und dem Bekämpfen von etlichen Gegnern, fühlt man sich fast genauso wie Jin: außer Atem aber sehr zufrieden mit sich und der Welt. An dieser Stelle glänzt Ghost of Tsushima wieder und zeigt sich von seiner besten Seite, sodass das Abarbeiten der Map ein Leichtes wird und etliche Nachmittage perfekt ausfüllt, da es beinahe schon ein Suchtpotential beherbergt.
Ghost of Tsushima ist in sich ein gelungenes Spiel, mit dem sehr viel Zeit verbracht werden kann. Die atemberaubend schöne Welt wird leider durch deren Leere oftmals überschattet und auch das hervorragende Kampfsystem rettet die klanglosen Missionen kaum. Allerdings beherrscht es Ghost of Tsushima wie kein anderes Open World Spiel, den Spieler an den Bildschirm zu fesseln und das Abarbeiten der Map zu einem großen Genuss verkommen zu lassen. Wer nach einem in seiner Erzählweise und Story sehr oberflächlichen und seichten Spiel mit tollen Kämpfen sucht, in das sich viel an Zeit investieren lässt oder der das Setting der Samurais und Japans sehr liebt, der ist bei Ghost of Tsushima an der richtigen Adresse. Andere Spieler, die sich eine reflektierte Auseinandersetzung mit der Frage nach Ehre, Stolz und Gewissen erhofft haben, könnte bei diesem Titel enttäuscht werden.