Assassin’s Creed Odyssey Review: Die Leiden der jungen Kassandra

„Wozu noch in den Urlaub gehen, wenn man Welten wie die von Assassin’s Creed Odyssey vom Schreibtisch aus betreten kann?“, habe ich mich beim Spielen vom neuen Ableger der Assassin’s Creed-Reihe oft gefragt. Denn genau diese Reise habe ich in den letzten Tagen angetreten. Eine Reise ins antike Griechenland, voller Gefahren, Söldner, epischen Kämpfen und einer Familiengeschichte. Was ich auf dieser Reise erlebt habe, das lest ihr jetzt. 

Disclaimer: Ich oute mich jetzt und sage, dass dieses AC tatsächlich das erste ist, was ich selbst spiele. Ihr werdet also keine Vergleiche mit den Vorgängern finden, da ich davon schlichtweg keine Ahnung habe 😉 

Zwei Geschwister. Eine verhängnisvolle Nacht und eine Prophezeiung, die eine Familie zerrüttete – das ist das Schicksal von Alexios beziehungsweise Kassandra. Als die beiden durch einen gewöhnlichen Söldner-Vertrag ihre Heimatinsel Kephallonia verlassen, stoßen sie dadurch auf ein Geheimnis und Mythos, das ihre Sicht auf das was sich in ihrer Kindheit ereignete, grundlegend ändert. So ziehen sie los, auf ihre eigene Odyssey um mehr über sich und ihre Geschichte herauszufinden und um ihre Familie zu beschützen.

Natürlich tretet ihr diese Odyssey nicht dauerhaft zu zweit an. Assassin’s Creed Odyssey ist nämlich das erste Spiel der AC-Reihe, wo ihr aus zwei Charakteren auswählen könnt. Entweder Alexios oder Kassandra. Rückgängig zu machen ist diese Entscheidung nicht – einmal gewählt, steckt man in der Haut des jeweiligen Charakters. Außer man beginnt ein neues Spiel, selbstverständlich. Für meinen Durchlauf habe ich mich für Kassandra entschieden und diese Entscheidung zu keinem Zeitpunkt bereut.

Wie Urlaub

Mit Kassandra streifte ich dann also Stunde um Stunde durch das wunderschöne Griechenland. Natürlich nicht nur zu Fuß, neben unserem vierbeinigen Begleiter „Phobos“ (von mir liebevoll „dreckiges Pony“ genannt), ist man auch Besitzer eines eigenen Schiffs mitsamt eigener Besatzung, zu der man auch immer wieder neue Kapitäne rekrutieren kann. Diese verbessern die Stats des Schiffes, was euch und eure Besatzung noch stärker werden lässt. Mit diesem Schiff lassen sich spannende Seeschlachten austragen, die zwar Spaß machen, aber gerade in der Anfangszeit wo das Schiff noch nicht so poliert und aufgebessert ist, ziemlich frustrierend sein können. Geht man dann also mal baden (wortwörtlich) erwartet einen eine wundervolle Unterwasserwelt inklusive Delfinen, Haien und Pottwalen. Doch nicht nur die Unterwasserwelt ist immer einen Tauchgang wert, auch Landratten kommen voll auf ihre Kosten: Die Welt von Assassin’s Creed Odyssey ist wunder, wunderschön und sehr vielseitig. Weiße Sandstrände, Klippen, Tempel,  verlassene Inseln, Häfen, größere Städte… sowohl äußerlich als auch spieltechnisch bietet die offene Welt des antiken Griechenlandes sehr viel und ist sehr abwechslungsreich gestaltet.

Das Schiff ist eines der Hauptverkehrsmittel in Assassin’s Creed Odyssey. 

Die Welt und das bunte Treiben in dieser laden zu ausgiebigen Entdeckungstouren und Spaziergängen ein. Praktisch also, dass es neben einem „geführten Modus“, der einen per Questmarker auf der Karte kompromisslos von A nach B führt, auch einen „Entdecker Modus“ gibt, der den Spieler schon mehr fordert. Dieser Modus ist tatsächlich perfekt gemacht für leidenschaftliche Entdecker der Map, denn anstelle einer direkten Navigation wo man hinsoll, geben beispielsweise NPCs detaillierte Hinweise, wo sich die nächste Quest abspielt. Ihr seid also quasi auf euch allein gestellt. Das ist toll, denn so hat man die Chance Die Welt von Odyssey viel mehr in sich aufzunehmen und alle Details die diese bietet, wirklich wertschätzen zu können. Zum Abarbeiten von den vielen Nebenquests oder Verträgen, bietet sich dieser Modus aber weniger an, weil man dafür einfach schlichtweg viel mehr Zeit braucht. Dennoch wird man durch die vielen historischen Orte, die nicht auf der Karte eingezeichnet sind, für diese Zeit belohnt.

Natürlich ist man auf seinen Entdeckungen nicht allein, so warten allerhand Banditen, gefährliche Tiere, Soldaten oder andere Söldner darauf, einem ans Leder zu gehen. Für den Kampf stehen allerhand Waffen wie Schwerter, Speere oder Dolche zur Verfügung. Die Kämpfe erinnern in ihrem Aufbau etwas an The Witcher 3, man greift an, weicht aus, wehrt ab oder rennt weg wenn man keine Lust mehr hat. Aufgepeppt wird dieses durch das Freischalten verschiedener Fähigkeiten. So macht es richtig Spaß, sämtliche Gegner vom Dach zu kicken oder sie mit einem einzigen Schwertstoß ins Reich von Hades zu schicken,

Ich töte dich, weil das Spiel mir sagt, dass ich es tun soll

Die Karte ist überhäuft mit Fragezeichen, wohinter sich meistens Gebäude befinden, die mit Gegnern übersät sind. Um eine Location abzuschließen, besteht die Aufgabe meist darin, Schatzkisten zu looten, Kriegsvorräte zu verbrennen oder sogenannte Elite-Gegner, wie Kapitäne oder Aufseher umzubringen. Diese Fragezeichen beziehungsweise „versteckten Orte“ häufen sich gewaltig und das abarbeiten dieser ist sehr repetitiv und in einer Weise beinahe sinnlos.

Assassin’s Creed Odyssey hatte im Vorfeld mit einigen Diskussionen zwecks „Gewaltverherrlichung“ zu kämpfen und da diese Diskussionen bei jedem zweiten Spiel aufkommen, meistens völlig überzogen und so auch nicht sonderlich beachtenswert sind, möchte ich darauf nun auch nicht weiter eingehen.  Der einzige Grund aber diese ganzen Locations abzuklappern und jeden der Gegner darin über den Jordan zu schicken war folgender: es gab eigentlich keinen. Keinen wirklichen. Mit Vernichten der Kriegsvorräte und dem Umbringen der Generäle wurde die Power der Nation im zugehörigen Kartenabschnitt gesenkt, was den Führer der Nation irgendwann dazu veranlasste sich zu isolieren, was ihn zu einem leichten Ziel für ein Attentat machte. Dieser Vorgang triggert irgendwann ein „Conquest Battle“, also eine große Schlacht, in der sich die Fraktionen Sparta und Athen gegenüber stehen. Der Spieler kann sich dann entscheiden – kämpft er lieber für Sparta oder für Athen?

 

Gegner können durch Ikarus aus hohen Lüften erspäht und markiert werden.

Diese Schlachten machen zwar ziemlichen Spaß und bringen auch einiges an Loot ein, dennoch ist es sehr schade, dass die Entscheidung für wen man sich einsetzt frei nach Lust und Laune getroffen werden kann und keine Konsequenzen für den weiteren Spielverlauf bringen. Sie sind somit völlig aus dem eigentlichen Kontext der Geschichte gerissen. Kurz gesagt: Niemand gibt dir einen Grund, für wen du kämpfen willst. Besonders großer Quatsch ist es dann, wenn man Stunde für Stunde damit verbringt die Soldaten Athens abzumurksen, auf dem Schlachtfeld dann aber trotzdem für Athen kämpft. Oder niemanden seine mörderischen Aktivitäten wirklich interessieren, sondern einem noch freundlich ins Gesicht gelacht wird, obwohl man ewig damit beschäftigt war, die eigene Mannschaft zu minimieren. Hier wurde großes erzählerisches Potenzial verschenkt.

Das Bounty im County

Viele Spieler haben kritisiert, dass Assassin’s Creed Odyssey kein richtiges Assassin’s Creed mehr ist. Und wo ich das weder bestätigen noch verneinen kann (weil wie gesagt, habe ich keinen Teil sonst gespielt), ist dieser Punkt für ein Meuchelmörder-Spiel höchst fragwürdig: Das Meucheln selbst funktioniert gar nicht richtig. Zumindest nicht immer. Gerade an diesen „Elite-Gegnern“ kann man sich in diesem Punkt die Zähne ausbeißen, da diese viel stärker sind, obwohl sie das gleiche Level haben als man selbst. Das führt dazu dass man früher oder später immer auffliegt und die Gegner auf einen einströmen. Still und heimlich ein Areal von Gegnern befreien? Unmöglich.

An sich wäre das überhaupt kein Problem, doch durch das neu eingeführte Bounty-System wurde gerade das furchtbar nervig. Kassandra und Alexios sind Söldner und so wie die beiden gibt es auch noch etliche andere in der Welt von Odyssey, die einen Reibach daraus machen wollen, Kopfgelder einzusammeln. Begehst du eine Straftat, wie das Klauen von Loot in der Welt oder dem Ermorden von Zivilisten, steigt das auf dich ausgesetzte Kopfgeld und irgendwann folgt dir ein Kopfgeldjäger auf Schritt und Tritt. Doch hat man gar keine Chance dieses System zu umgehen, denn macht man das was das Spiel einem sagt – gewisse Gegner umzulegen, Burgen einzunehmen und Kriegsvorräte zu verbrennen – steigt automatisch die Bounty-Anzeige. Besonders lustig wird es dann, wenn Zivilisten meinen den Helden spielen zu müssen und zusätzlich auf einen einprügeln. Dem Spieler bleibt gar nichts anderes übrig, als kurzen Prozess zu machen, wodurch das ausgesetzte Bounty wieder steigt.

In Konfliktsituationen gilt besonders der Grundsatz: Alle gegen einen. Herumstehende Soldaten sehen, dass der Spieler von einem Wolf angegriffen wird? Oh klar, der Spieler muss automatisch böse sein und man hat außer dem wilden Tier noch fünf menschliche Gegner am Hals. Besonders abstrus ist diese Dynamik beispielsweise in Sklavenlagern oder Gefängnissen, woraus man die Zivilisten eigentlich befreien will. Sehen diese einen Konflikt zwischen Kassandra und Wärter, wird automatisch Kassandra angegriffen. Endresultat: Man muss Zivilisten umbringen um diese loszuwerden, das Bounty steigt und aus dem nichts spawnen auf einmal drei Bounty-Hunter, die als kleiner extra-Spaß dann auch noch bis zu drei Level höher sind als man selbst. Man hat also unzählige Wachen, Zivilisten, wilde Tiere und Kopfgeldjäger an seinen Fersen kleben. Aufeinmal. Der Spaß geht dabei völlig verloren. Man wollte doch nur unschuldig eine Nebenquest erledigen und plötzlich muss man es mit einem gesamten Dorf aufnehmen. Nicht nur einmal habe ich in diesem Chaos einen Rage-Quit hingelegt.

Die wunderschöne Welt zwingt einen dann aber trotzdem immer wieder dazu, zurückzukehren.

Dennoch musste ich das Spiel oft nicht nur durch einen Rage-Quit beenden, sondern wurde auch durch Bugs gezwungen neuzustarten. Wenn das Spiel plötzlich so einfriert, dass man nur noch leise die Musik vernehmen kann ist das sehr schade und stört den Spielspaß. Leider passierte das nicht nur einmal. So hat das Spiel auch mit einigen kleineren kosmetischen Bugs zu kämpfen, Texturen laden spät nach, Gegner glitchen merkwürdig zur Seite und gelegentliches Ruckeln war vernehmbar.

Meine Kassandra

Vom Spielgefühl selbst und der Story rund um Kassandra oder Alexios her überzeugt Assassin’s Creed Odyssey aber komplett. Es macht große Freude in Kassandras Haut durch die Wälder und Städte zu streifen und der Geschichte zu folgen. Die neue Dialogoptionen tun dafür ihr übriges. So hat man die Wahl ob man Kassandra eher freundlich sein lässt oder zynisch, auf Ehrlichkeit setzt oder lügt um seine Haut zu retten, einen friedlichen Weg wählt oder gewalttätig wird. Auch die Romance-Optionen machen Spaß, wobei es ein wenig schade ist, dass nach einem One-Night-Stand das Spektakel auch schon wieder vorbei ist. Doch all diese Optionen bieten einen gewissen Rahmen Kassandra oder Alexios nach seinen eigenen Vorstellen, inklusive Sexualität, selbst zu gestalten. Denn man kann sowohl mit Männern als auch mit Frauen etwas anfangen – ganz unabhängig davon, welches Geschlecht man spielt.

Eine der vielen Optionen für eine kurzweilige Romanze.

Mit welchem Geschlecht man im Endeffekt die Reise antritt hat keine Auswirkungen, weder im Gameplay noch in der Story und Dialogen. Manche mögen das als faul ansehen, dennoch finde ich es unglaublich erfrischend, dass keine Veränderungen vorgenommen wurden. Man wird im Spiel gleich behandelt, von jedem kriegt man ein „hello shitface“ an den Kopf geworfen und es werden keine Abstriche gemacht, wenn man sich für Kassandra entschieden hat. Wie schon erwähnt bereue ich es keine Sekunde lang sie gewählt zu haben, obwohl ich es gewohnt bin eher Männer zu spielen. Kassandra strahlt großen Charme aus, den man mit den Dialogoptionen noch vertiefen kann. Auch das Voice Acting (englische Variante) wirkt bei ihr leicht überzeugender als bei Alexios. Hier wurde sehr gute und authentische Arbeit geleistet.

Kassandra ist ein sehr interessanter und überzeugender Hauptcharakter.

Auch die Cutscenes und Flashbacks wissen mit guter Darstellung zu begeistern. Sie sind spannend, sie machen Lust auf die Geschichte, sie berühren und ziehen den Spieler in die Handlung rein. Die Handlung selbst entspricht, wie die Welt auch, einer schier unfassbaren Größe. Bereits zu Beginn des Spiels hat es mit ausgiebigem Erkunden und Nebenquests der ersten Insel bestimmt gute vier Stunden benötigt, bis erstmal das „Ubisoft presents“-Intro eingeblendet wurde. Die Größe der Karte und Handlung tut dem Spiel aber weniger gut, da der Spieler davon beinahe überfordert wird. Beim ersten Blick auf die Map staunte ich bei der Größe nicht schlecht. Als ich dann merkte, dass man noch nach unten scrollen kann, wodurch immer und immer mehr Inseln sichtbar wurden, war ich fast schockiert. Die sollte ich alle erkunden? Das würde ich ja nie schaffen.

So zieht sich auch die Handlung über drei Hauptstränge hinweg, sodass das Spiel nach seiner letzten eigentlichen Hauptmission noch gar nicht zu Ende ist. Wer Assassin’s Creed Odyssey also komplett durchspielen will, sollte sehr viel Zeit mitbringen. Dafür wird man aber auch gut unterhalten. Die meisten Nebenquests – abgesehen von Verträgen und dem üblichen „Töte XY und du bekommst XY“ – lohnen sich und bereichern die Hauptstory auf ihre eigene Weise. Entscheidungen, die in diesen Nebenquests getroffen werden, können so gut und gerne von Charakteren in den Hauptquests aufgegriffen werden, sodass man unweigerlich mit der daraus resultierenden Konsequenz konfrontiert wird. Das ist gutes Spieldesign, das funktioniert, das sorgt dafür dass die Reise mit Kassandra emotionaler und persönlicher wird und man nicht das Gefühl bekommt, dass getroffene Entscheidungen im Winde verwehen.


Für dieses Review wurde mir von Ubisoft ein Testmuster (PS4) zur Verfügung gestellt. Vielen Dank an Ubisoft dafür! 

Anmerkungengen:
* Bei dem oben verlinkten Link handelt es sich um ein Affiliate Link.
Alle verwendeten Fotos sind eigenhändig durch den Photo-Mode entstanden.

 

Fazit
Assassin's Creed Odyssey ist spektakulär und überzeugt mit einer fantastisch aussehenden (dafür viel zu großen) Open-World, die zu ausgiebigem Erkunden einläd. Die Handlung ist spannend und macht Spaß, die Dialog - und Romance-Optionen tun dafür ihr übriges. Leider wird dieser Spaß oft durch Bugs und schlecht ausbalanciertem Bounty-System unterbrochen. Die Atmosphäre und Spielmechaniken überzeugen dafür und ich kann jedem diesen Trip ins antike Griechenland ans Herz legen.
Pro
Kassandra als charmanter Hauptcharakter
abwechslungsreiche Open-World mit toller Atmosphäre
Tolle narrative Elemente und Dialogsystem
Contra
zu große Welt mit repetetiven Elementen
fragwürdiges Bounty-Hunter System
kosmetische Bugs und Klitsches
75
Kaufen *

About Marina

Studiert irgendwas mit Medien. Spielt am liebsten auf der PS4, liebt alles was eine dramatische Story hat, am liebsten aber Games mit bärtigen und grummeligen Männern. Ist auf Twitter am coolsten. Chefin bei dieletztevoneuch.de. PR-Mensch bei GameNotify.

One thought on “Assassin’s Creed Odyssey Review: Die Leiden der jungen Kassandra

  1. Eine richtig tolle Rezension!
    Ich spiele es aktuell, und das wird vermutlich auch noch Monate dauern haha. Mir geht es selten darum, ein Game durchzuzocken sondern eher um die ganzen Nebenquests und vor allem um das Erkunden der Map, was ja hier wie du schon sagtest einiges an Zeit in Anspruch nimmt. Ich hab ähnlich reagiert wie du, als ich mal über die Map gescrollt hab und es kaum ein Ende nahm. So viel zu erkunden!
    Das mit den Lagern, wo man rauben, verbrennen und töten soll, erschließt sich mir auch noch nicht so ganz. Eigentlich sind wir ja im Team Sparta, aber die greifen mich scheinbar auch an, wenn ich das Lager betrete. Vielleicht weil sie Banditen sind? Man weiß es nicht.
    Aber auf jeden Fall ein cooles Game!

    Liebe Grüße,
    Nicci

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